HOL - Quartier an der Holwedestraße, Braunschweig
Städtebaulicher Realisierungswettbewerb, Braunschweig, 2022
2. Preis
mit studiomauer & Nolte Gehrke Landschaftsarchitekten
Holwede Quartier - Wohnen am Okerpark
Voraussichtlich 2024 wird das Areal des Klinikums Braunschweig an der Holwedestraße vakant und soll zu einem hochwertigen Wohnquartier entwickelt werden. Neben den erhaltenswerten Bestandsgebäuden sollen ca. 300 Wohneinheiten mit verschiedenen Wohnformen und -angeboten, eine KiTa, verschiedene öffentliche Nutzungen und ein Quartierszentrum entstehen. Kern der Entwurfsaufgabe ist es ein neues Quartier zu entwickeln, welches neben hochwertigen Wohnungen auch hohe Klimaschutzziele innehält.
01 Städtebauliche Idee:
Das Konzept „Holwede Quartier - Wohnen am Okerpark“ gliedert das neue Quartier in vier grüne Nachbarschaften und integriert, sowie reaktiviert dabei geschickt die qualitätvollen Bestandsgebäude. Kern des Quartiers ist neben dem aufgewertete und neu eingebetteten Okerpark am ehemaligen Klinikum der Quartiersplatz, der durch öffentliche Nutzungen, dem Mobilitäts-HUB und einer grünen Meile, die am östlichen Ende in Form einer neuen Rad- und Fußgängerbrücke den Sprung über die Oker schafft, ergänzt wird. Ziel des Entwurfes ist es die Identität des Ortes durch die Reaktivierung der Bestandsgebäude zu erhalten und durch gezielte Neusetzungen zu gemeinschaftlichen Kleinstnachbarschaften zu ergänzen.
Die Anordnung und Körnigkeit der einzelnen Baukörper orientiert sich dabei an den unterschiedlichen, hochwertigen Bestandsgebäuden und ergänzt diese zu einer klaren Raumkante zur westlich verlaufenden Holwedestraße. Zum Landschaftsraum der Oker hin werden die Setzungen poröser und aufgelockerter, lassen Blicke aus den Höfen zu und ermöglichen einen Kontakt zur Flusslandschaft. Der Entwurf arbeitet dabei mit klimagerechter Bauweise und zugleich hochwertiger Architektur, setzt den Fokus auf die Entwicklung eines autofreien Quartiers mit geringer Versiegelung und qualitätsvollen und nutzungsvariablen Freiräumen.
02 Freiraum:
Im Quartier finden, sich adaptiert auf die jeweiligen Anforderungen, eine große Bandbreite an unterschiedlichen Freiraumtypologien in unterschiedlichen Privatssphäregraden. Ziel ist es die großen öffentlichen Räume klimaadaptiv und gleichzeitig nutzungsoffen zu gestalten um eine nachhaltige Entwicklung des Areals zu begünstigen. Der großzügige Quartiersplatz wird hierfür wassersensitiv als Schwammplatz mit diversen Grünflächen und Rückhaltebecken ausgeprägt. Hier treffen öffentliche Nutzungen auf Aufenthaltsqualität, die durch den Hain aus wassersensitiven Gehölzen unterstützt wird und sich über die grüne Meile auch die Oker samt Wanderweg anbindet. Nach Westen hin öffnet sich der Platz als Geste zur Bestandsbebauung gezielt und setzt dabei die Flanke des denkmalgeschützten Klinikums neu in Szene. Der angrenzende Mobilitätshub verfügt über eine umlaufende Treppe, die die Nutzungen des Quartiersplatz um einen Kinderspielplatz und Aktivitätsraum auf dem Dach ergänzt.
Den zweiten großen öffentlichen Freiraum bildet der Okerpark als durchgrünte Freifläche zu dem hin sich auch die Außenfläche der neu entstehenden Kita ausprägt. Besonderer Wert bei der Umgestaltung wurde auf bestehende Verbindungen entlang des Klinikums, wie auch den prägnanten und äußerst erhaltenswerten Baumbestand gelegt. Im Okerpark wird von einer intensiven Gestaltung und Bespielung bewusst abgesehen. Die Fläche richtet sich gleichermaßen an Anwohnende und Besucher und bildet die grüne Mitte des Quartiers aus. Der Okerpark ist dabei Teil der mäandrierenden Freiraumsequenz entlang der Oker, bei der sich offene Freiflächen, geschützte Biotopsaume, erschließende Infrastrukturen und Spiel- und Jugendflächen in unterschiedlichen Raumgrößen entlang des Okerwanderwegs aneinanderreihen.
Bei der Anordnung der Jugendspielflächen an der Dr. von Morgenstern Schule, entlang des Klima- und Mobilitätsstichs wurde zudem der Emissionsschutz berücksichtigt. Hierbei wird empfohlen die genauere Ausdefinierung in einem Bürgerworkshop gemeinsam mit Anwohnenden, späteren NutzerInnen und der Stadt durchzuführen um vorab möglichen Konflikten entgegenzuwirken und die Flächen bedarfsgerecht zu entwickeln. Das Konzept sieht zudem diverse dezentrale Aufenthaltsmöglichkeiten für Jugendliche vor und ortet einzelne individuelle Kinderspielorte entlang des Okerwegs an.
Zur Erschließung der Baukörper, sowie zur öffentlichen Durchwegbarkeit bis zur Oker werden die einzelnen Nachbarschaften durch Klima- und Mobilitäts-Stiche im Shared Space Prinzip gegliedert. Hier sind neben öffentlichen und rollstuhlgerechten Stellplätze auch Parkmöglichkeiten für Car-Sharing und E-Mobilität mit entsprechenden Ladesäulen angeordnet. Die Ausrichtung der Stiche orientiert sich an den natürlichen Kaltluftbahnen und sorgt für eine natürliche Kühlung des Quartiers und der umliegenden Bebauung.
Neben Kinderspielflächen, Bereichen zum gemeinschaftlichen Gärtnern und Orten zum Grillen und Treffen, beinhalten die Micro-Nachbarschaften wichtige Flächen, die das Mikroklima positiv beeinflussen: Retentionsmulden speichern Niederschläge und geben diese verlangsamt wieder an die Luft ab, Baumhaine sorgen für eine natürliche Verschattung und eine Auswahl aus extensiven Blüh- und Gräsermischungen erhöhen die Biodiversität des Areals. Die Nachbarschaften sind als teil-private Räume ausgeprägt und verfügen jeweils über Anschluss in Richtung Oker und an die Klimastiche. Hier entstehen Orte in denen man sich auf der Hofebene vernetzen, kennenlernen und zusammenschließen kann.
Der opulente Baumbestand entlang der Oker wird durch einen Biotopsaum geschützt, gepflegt, in Teilen ausgedünnt und durch gezielte Neupflanzungen zu einem grünen Puffer entlang des Okerwanderwegs ergänzt. Dadurch heben sich die großzügigen öffentlichen Freiflächen auch räumlich von den geschützten Nachbarschaften ab.
03 Wohnformen und Nutzungen:
Das neue Quartier an der Holwedestraße ist von vielfältigen Wohnformen und nachbarschaftlichen Nutzungen geprägt. Die Typologien und Wohnformen werden über die Höfe demokratisch verteilt, um eine Durchmischung des Quartiers zu fördern und diverse Wohnformen mit unterschiedlicher Lagequalität zu generieren. Durch eine systematische Bauweise und Laubengangerschließungen sind verschiedene Typologien mit sehr vielen Wohnungszuschnitten möglich. Neben Kleinstwohnungen, geförderten Wohnungen und großen Familienwohnung gibt es zusätzlich gemeinschaftliche Wohnformen, wie Clusterwohnungen, Mehrgenerationenwohnungen und auch Studierendenappartments und Wohngemeinschaften. Diese werden teilweise ergänzt, um Gemeinschaftsräume in den Erdgeschossen der Wohnhäuser, um die private Wohnfläche zu minimieren und einen suffizienten Lebensstil zu unterstützen.
Abstellräume in den Wohnungen machen eine Bauweise ohne Kellergeschosse möglich und reduzieren so die Einsatz von CO2-intensivem Beton. Im denkmalgeschützten Klinikgebäude soll ein lebendiges Nebeneinander von Kita und Gemeinschaftseinrichtungen im Erdgeschoss, sowie Studierenden und Servicewohnen in den Obergeschossen realisiert werden. Ausgewählte Baufelder sollen zusätzlich für Baugruppen vorgehalten werden. Neben der Wohnnutzung sind nachbarschaftliche Nutzungen, wie Co-Working, Restaurant und Café, Werkstätten und Gemeinschaftseinrichtungen, die sich sowohl am zentralen Quartiersplatz bündeln, aber auch dezentrale Angebote im Gebiet schaffen, wie zum Beispiel das zweigeschossige Backsteingebäude an der Oker.
04 Verkehrskonzept: Das Verkehrskonzept des „Holwede Quartiers“ sieht eine weitesgehend autofreie Erschließung vor. Der MIV wird zentral am Mobilitäs-HUB, an den zwei Tiefgaragen oder, für Sondernutzungen, an den Stichen abgefangen, sodass die Höfe und öffentlichen Freiräume gänzlich autofrei bleiben und den Bewohnenden zur Verfügung stehen. Der viergeschossige Mobilitäts-HUB ist Schlüsselelement des Verkehrskonzeptes, beinhaltet 115 Stellplätze für die umliegenden Häuser und wird über eine zweispurige Zufahrt im Süden des Quartiersplatzes erschlossen. An der Zufahrt liegen außerdem weitere Kiss and Ride Stellplätze für die KiTa. Im Erdgeschoss des HUBs sind von der Gemeinschaft frequentierte Nutzungen wie eine öffentliche Fahrradwerkstatt, überdachte Fahrradstellplätze, E-Bike und Lastenrad-Sharing und eine Müllsammelstelle angeordnet. Der HUB wird durch Tiefgaragen an den Nachbarschaften im Norden und Süden ergänzt, wodurch diese autark und sukzessive entwickelt werden können. Im Süden befinden sich 40 weitere Stellplätze und im Norden 26 Parkmöglichkeiten, jeweils mit Stellplätze für mobilitätseingeschränkte Bewohner- und BesucherInnen. Diese dezentralen Tiefgaragen ermöglichen für die AnwohnerInnen kurze Wege innerhalb der Quartiere. Öffentliche und rollstuhlgerechte Stellplätze befinden sich zudem vorrangig in den Stichen. Dort gibt es zusätzlich Car-Sharing Angebote und Stationen für E-Mobilität um auch perspektivisch den Stellplatzschlüssel reduzieren zu können. Perspektivisch kann die Stellplatzanzahl im Mobilitäts-Hub zudem flexibel reduziert und die freiwerdenden Etagen neuen Nutzungen zugeführt werden wodurch auch zukünftig agil auf einen Mobilitätswende reagiert werden kann.
05 Funktionalität: Zentrale Müllsammelstellen im Quartier ermöglichen die Müllabholung weitesgehend aus den Höfen in die Stiche und an den Rand der Holwedestraße zu verlagern. Die Nachbarschaft am Quartiersplatz hat eine zusätzliche Müllsammelstelle im HUB und wird über eine Zufahrt auf dem Platz angefahren. Auch die Feuerwehrerschließung erfolgt überwiegend durch die Stiche und öffentlichen Flächen, sodass die Höfe mit versicherungsoffenen Oberflächen hergestellt werden können. Dies begünstigt zusätzlich ein angenehmes Klima innerhalb der Bebauung. Die Zufahrten werden bei Bedarf um Aufstellflächen aus Rasengittersteinen ergänzt um die Versiegelung möglichst gering zu halten.
Bei der Gestaltung der Freiflächen liegt der Fokus auf einer Überlagerung der Nutzungen und Funktionen in zentralen Bereichen, sowie auf einer nutzungsoffenen Gestaltung der Freizeitflächen. Ziel ist es dabei versiegelte, hochfrequentierte Flächen zu bündeln und unversiegelte Erholungsflächen für die späteren Nutzer bereitzustellen.
06 Bauabschnitte: Die Gliederung des Areals in verschiedene Nachbarschaften ermöglicht eine einfache bauliche Abfolge. Die Nachbarschaft im Süden bildet hierbei den Auftakt. Durch die Tiefgarage und die direkte Lage am Bestand kann sie vorerst autark zum Rest des Quartiers ausgebildet werden. Den zweiten Bauabschnitt bildet das neue Zentrum aus. Der HUB mit Quartiersplatz und die zwei anschließenden Nachbarschaften entstehen gemeinsam und erschließen die Übergeordnete Versorgungsstruktur wie auch die neue Fuß- und Radbrücke. Eine bauliche Grenze zum letzten Abschnitt bildet die Dr. von Morgenstern Schule. Da die Verwaltung des Klinikum voraussichtlich als letztes zurückgebaut wird bildet die 4. Nachbarschaft auch den letzten Bauabschnitt. Die nördliche Nachbarschaft bindet geschickt die umstehenden Bestandsgebäude ein, sodass auch hier ein räumlicher Zusammenhang als Hofgemeinschaft aus Bestand und Neubau entsteht. Sollte sich der zeitliche Ablauf für die Vakanz der Krankenhausgebäude ändern kann das Konzept durch klare Aufteilung und simple, jedoch robuste Erschließungsstruktur flexibel darauf reagieren. Die Gliederung in verschiedene Nachbarschaften ermöglicht es außerdem das Quartier mit verschiedenen Akteuren zu entwickeln.
07 Architektur: In Hinblick auf ökologisches Bauen und eine nachhaltige Stadtentwicklung sollen die Gebäude aus rezieklierbaren Materialien und ökologischen Baustoffen errichtet werden. Denkbar sind Außenwände beispielsweise als Holzrahmenbau mit einer mineralischen Vorhangfassade, monolithische Wandaufbauten oder auch Massivholzwände sind dabei ebenso denkbar. Vorteilhaft beim Holzrahmenbau ist, dass der Wohnraum effizienter genutzt werden kann und durch eine nichtbrennbare Fassade der Brandschutz leichter gewährleistet werden kann. Die vorgeschlagenen Typologien sind weitestgehend in Schottenbauweise geplant. Diese Tragstruktur ist ideal zur Verwendung von Massivholzwänden. Leimfreie Holzbauweise und vorgehängte Fassaden ermöglichen es Gebäude ohne großen Aufwand in Stand zu halten und auch Baustoffe erneut zurück in den Kreislauf zu bringen. Gestalterisch orientiert sich die Architektur an den Bestandsbaukörpern wie dem Hauptgebäude und der Villa. Rote und Helle Farbtöne prägen das Erscheinungsbild und bilden die visuelle Identität des neues Quartiers am Okerpark.
08 Versorgung und Klimaziele:
Neben einer ökologischen Bauweise ist auch eine nachhaltige Versorgung des Quartiers ausschlaggebend, um die hohen Klimaschutzziele zu erreichen. Das Gebiet wird laut Auslobung durch Fernwärme erschlossen. Diese wird noch nicht klimaneutral hergestellt. Die Grundversorgung des Gebiets soll vorerst mit Erdsonden und einer Sole-Wasser-Wärmepumpe sichergestellt werden. Diese wird in den Spitzenlasten durch die Fernwärme ergänzt. Im Sommer kann die Sole-Wasser-Wärmepumpe die Bauteile kühlen und unterstützt somit den sommerlichen Wärmeschutz. Die Stromversorgung im Areal erfolgt über PV-Anlagen auf den Dächern. Hierdurch können die Wohnungen, Beleuchtungen und lokale Einrichtung gespeist werden. Auf dem Mobilität-HUB wird die PV-Anlage zur Sicherstellung der E-Mobilität genutzt. Ziel im Quartier ist es durch geschickten Städtebau und robuste Landschaftsarchitektur auf möglichst viel Technik in der Gebäudeausstattung zu verzichten. Die ausgebildeten Kaltluftschneisen unterstützen die natürliche Luftbewegung und sorgen für ein gutes Micro-Klima in den Höfen und der baulichen Umgebung. Dachbegrünung und Muldenausbildung in den Höfen können Niederschlag aufnehmen und verzögert an die Umgebung abgeben. Der verhältnismässig geringe Versiegelungsgrad ermöglicht ebenfalls ein gutes Micro-Klima und wirkt Hitzespitzen entgegen. Die hohe Anzahl an Bäumen gewährleistet eine saisonale Verschattung und die Mischung an Gehölzarten erhöht die Resilienz und Biodiversität im Gebiet. Die Begrünung wird durch Fassadengrün ergänzt, sodass die Wohnung zusätzlich im Sommer natürlich verschattet werden. Diese natürliche Verschattung unterstützt den sommerlichen Wärmeschutz, damit auf aufwendige Verglasungen oder sonstigen Sonnenschutz verzichtet werden kann. Durch diese Synergien aus Städtebau, Architektur und Freiraumplanung entsteht ein ganzheitliches und nachhaltiges Stadtquartier an der Holwedestraße.